03 Aug 2021

Was der Geldpolitik übrig bleibt

Eine Reihe renommierter Wissenschaftler:innen würdigt in einem akademischen Kolloquium die Lebensleistung von Otmar Issing anlässlich seines 85. Geburtstags – und diskutiert gemeinsam mit ihm aktuelle Herausforderungen der Zentralbankpolitik

Welches Gewicht Otmar Issing für die wirtschafts- und insbesondere die finanzwissenschaftliche Forschung in Frankfurt hat, geht aus seinen eigenen Worten hervor: „Das Center for Financial Studies ist meine akademische Heimat geworden, das Leibniz-Institut für Finanzmarktforschung SAFE habe ich von den ersten Schritten der Gründung bis zur endgültigen Etablierung begleitet und dazu beigetragen, dass die Goethe-Universität als Standort für das Institute for Monetary and Financial Stability ausgewählt wurde.“ Schließlich, so der Ökonom, blicke er auch auf eine lange Zusammenarbeit mit dem Institut für Banken- und Finanzgeschichte (IBF) zurück.

Derart miteinander verbunden, hatten CFS, SAFE, IMFS und IBF gemeinsam ein akademisches Kolloquium mit dem Titel „Money and Prices: A Permanent Puzzle“ am 29. Juni 2021 organisiert. Dabei würdigten nicht nur Vertreter:innen der einzelnen Institute, sondern auch Weggefährten Issings sowie renommierte Finanzwissenschaftler:innen die Lebensleistung des inzwischen 85-Jährigen anlässlich seines Geburtstags im März. Im Mittelpunkt der digitalen Veranstaltung stand jedoch nicht allein Issings Einsatz für die beteiligten akademischen Institute. Nach seiner Tätigkeit als „Wirtschaftsweiser“ im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung verbrachte Issing von 1990 bis 2006 jeweils gut acht Jahre bei Bundesbank und Europäischer Zentralbank in der Funktion als Direktoriumsmitglied und Chefvolkswirt. Die Spuren, die der CFS-Präsident bei beiden Zentralbanken hinterließ, waren für das akademische Kolloquium Anlass, aktuelle Anforderungen an die Geldpolitik gemeinsam mit Issing zu erörtern.

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Den einzelnen Ausführungen voran ging stets ein gemeinsamer Nenner: wie nachhaltig Otmar Issing die Zentralbankpolitik geprägt hat. Bundesbankpräsident Jens Weidmann sowie sein Amtsvorgänger und amtierender Präsident der Schweizer Großbank UBS, Axel Weber, attestierten Issing während des Kolloquiums eine „Vorbildfunktion“. Seine Verdienste und Leistungen „sind rund um den Globus bekannt“, sagte Doris Fischer, Vizepräsidentin der Universität Würzburg, Issings Alma Mater. Der frühere EZB-Präsident Jean-Claude Trichet, mit dem Issing unmittelbar zusammenarbeitete, betonte, dass zwei Erfolge maßgeblich auf die von Issing seinerzeit orchestrierte EZB-Geldpolitik zurückzuführen seien: die Stabilität des Euro im Vergleich zu den einzelnen nationalen Währungen, die zuvor in Europa existierten, und die Akzeptanz des Euro in der europäischen Bevölkerung. Tatsächlich gilt Issing als einer der Geburtshelfer des Euro sowie einer der maßgeblichen Köpfe hinter der geldpolitischen Strategie der EZB, wie sie 1998 entworfen und 2003 überarbeitet wurde, nach der jüngsten Anpassung im Juli 2021 nun allerdings in der Kritik steht.

Aus dem fachlichen Miteinander in der sogenannten „Issing-Kommission“ habe er vor allem den Aspekt der Ordnungspolitik mitgenommen, hob Jan Pieter Krahnen hervor. Der SAFE-Direktor zählte in den Jahren 2008 bis 2012 ebenso wie Jens Weidmann zu der Fachgruppe „Neue Finanzmarktarchitektur“ unter Vorsitz von Otmar Issing, die im Auftrag der Bundesregierung mehrere Berichte zu möglichen Reformen der internationalen Finanzmärkte vorlegte. Die verantwortlichen europäischen Institutionen seien einem demokratischen Mandat verpflichtet, das nicht ohne Weiteres überschritten werden dürfe, so Krahnen. Müsse dieses Mandat ausgeweitet werden, sei dafür zuerst die Rechtsgrundlage zu schaffen, bevor konkrete politische Schritte unternommen werden könnten. Paradebeispiel dafür sei die noch zu vollendende Bankenunion als neue Aufsichtsarchitektur in Europa und Antwort auf das „too big to fail“-Problem mit Blick auf Kreditinstitute. „Die Bankenunion ist Ordnungspolitik im besten Sinne“, erklärte Krahnen.

„Geld ist eine gesellschaftliche Konvention“

Den Fachvortrag zum titelgebenden Thema des Kolloquiums begann Markus Brunnermeier von der US-amerikanischen Princeton University mit einem Zitat von Otmar Issing: „Geld ist eine gesellschaftliche Konvention.“ Demnach funktionierten Geld und Währungen wie eine Art Sprache als Mittel zur Kommunikation. Unter diesem Blickwinkel sei auch Zentralbankpolitik zu betrachten, führte Brunnermeier aus: Die Kontrolle über Währungen, in der Verträge abgeschlossen werden, gestatte die Kontrolle über die Geldpolitik. Der Wechsel zwischen Währungen gehe mit dem Aufkommen neuer Technologien zurück, die auch die Zentralbanken vor neue Herausforderungen stellten, etwa im Umgang mit digitalem Zentralbankgeld. Die drei wesentlichen Funktionen des Geldes – als Recheneinheit, Tauschmittel und Wertaufbewahrungsmittel – blieben jedoch auch im Zuge der digitalen Transformation erhalten. „Wir brauchen diese Homogenität des Geldes, um Preisvergleiche zu erleichtern und Wechselkursrisiken zu eliminieren“, erklärte Brunnermeier. Zumal Preise sich dahingehend änderten, dass ihre Transparenz über Waren hinweg und im Zeitverlauf steige.

In der Zwischenzeit jedoch, so nahm Issing selbst Bezug auf den Vortrag Brunnermeiers, würden Kryptowährungen, egal ob privat oder von Zentralbanken herausgegeben, die komplexe Wechselbeziehung zwischen Geld und Preisen noch schwieriger machen. Um diesem Umstand eine greifbare Dimension zu verleihen, warf IMFS-Direktor Volker Wieland ein: Bei 1100 Milliarden Euro liege die derzeitige Marktkapitalisierung aller vorhandenen privaten digitalen Währungen, etwa die Hälfte davon sei Bitcoin.

Alarmierende Signale im Euroraum

Als alarmierend bezeichnete Issing weiter, dass sich die Zentralbanken anscheinend immer noch auf Modelle verlassen würden, die schon vor Jahren einen Großteil ihrer Prognosefähigkeit verloren hätten. „Diesen Modellen fehlt eine angemessene, finanztheoretische Erklärung für die gleichzeitige Bestimmung von Finanzströmen, Risikoprämien und Vermögenspreisen“, sagte der Ökonom. Zwar wolle er die Prognose nicht wagen, dass es in Europa auf absehbare Zeit wieder zu einer hohen Inflation komme. Allerdings bereiteten ihm die massiven Käufe von Staatsanleihen durch die Zentralbanken Sorgen. „Das Hauptrisiko besteht aus meiner Sicht darin, dass die Zentralbanken die Risiken entspannt zu sehen scheinen und die hohe Unsicherheit ignorieren“, so Issing.

Als Warnsignal dieser hohen Unsicherheit wertete der frühere Zentralbanker weiter, dass zahlreiche Beobachter für den Euroraum keine hohe Inflation, sondern ähnlich wie in Japan eine sehr niedrige Inflation, hohe Staatsdefizite und zunehmende fiskalische Dominanz vorhersagten. Eine solche Situation könnte sich jedoch in Europa als politisch nicht tragfähig erweisen. „Europa ist nicht Japan, weil die Vermögensungleichheit rapide zunimmt und schließlich das Vertrauen der Finanzinvestoren in die Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen fehlt“, erklärte Issing in seinen Schlussbemerkungen.