20 Jan 2015

Nicolas Véron diskutiert die Pläne einer europäischen Kapitalmarktunion

Am 19. Januar 2015 hielt Nicolas Véron, Senior Fellow bei Bruegel und Visiting Fellow am Peterson Institute for International Economics in Washington, D.C., einen Vortrag über die Agenda für die europäische Kapitalmarktunion. Hans-Helmut Kotz, Programmdirektor des SAFE Policy Centers, gab eine kurze Einführung.

Véron erläuterte zunächst, dass der Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, im Juli 2014 als Erster den Aufbau einer “Kapitalmarktunion” (Capital Markets Union, CMU) in Europa ankündigt hatte. Die Europäische Kommission wolle mit der Kapitalmarktunion den Nichtbankenbereich des europäischen Finanzsystems stärken. Es wird allgemein angenommen, dass die Folgen der Finanzkrise 2007/08 gezeigt haben, dass eine bankendominierte Finanzierung die wirtschaftliche Erholung und das Wachstum erschweren. Die CMU habe zum Ziel, ein Gleichgewicht zwischen Banken- und Nichtbankenfinanzierung herzustellen und dabei das europäische Finanzsystem effizienter, wettbewerbsfähiger und in Krisenzeiten widerstandsfähiger zu machen.

Laut Véron ist es besonders wichtig, Aktien- und Kreditmärkte über das Bankenwesen hinaus weiterzuentwickeln, um eine Finanzierung für wachstumsstarke Dienstleistungsunternehmen zu gewährleisten, die wenig Sicherheiten anbieten können, aber in naher Zukunft eine bedeutende Rolle bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze spielen. Vor diesem Hintergrund sei die CMU besser geeignet, um dem Finanzierungsbedarf des Binnenmarktes gerecht zu werden. Die Kommission wolle in den nächsten Wochen ein Grünbuch zur CMU veröffentlichen. Außerdem sei zu erwarten, dass ein Aktionsplan zu Finanzdienstleistungen im Sommer 2015 vorgestellt werde. Beides werde mehr Klarheit in Bezug auf ein Konzept für eine CMU bringen.

Véron skizzierte zwei mögliche Ansätze, die die Kommission bei der Umsetzung der Agenda der CMU verfolgen könnte: Ein „industriepolitischer“ Ansatz würde einzelne Bereiche des Kreditmarktes sowie Finanzinstrumente (wie zum Beispiel Kreditverbriefungen, gedeckte Schuldverschreibungen oder ELFIFs) auswählen, um sie in einem harmonisierten europäischen Rahmen weiterzuentwickeln. Dies sei der einfachere Ansatz. Der kompliziertere, aber wahrscheinlich auch effizientere Ansatz, um ein wachstumsfreundliches Umfeld zu generieren, sei der sogenannte „ordoliberale“ Ansatz. Hierbei würden die Rahmenbedingungen der Finanzmärkte angepasst, um eine Basis für die Entwicklung effizienter Finanzdienstleistungen und vertraglicher Vereinbarungen zu schaffen. In diesem Zusammenhang hob Véron einige aktuelle Regulierungen hervor, die erneut überdacht werden müssten, um der Fragmentierung der Märkte entgegenzuwirken und Wachstumshemmnisse zu überwinden: Insolvenz- und Umschuldungsregelungen, Steuergesetze, Aufsicht und Abwicklung der Finanzinfrastruktur, der aufsichtsrechtliche Rahmen für Versicherer und Pensionsfonds sowie Rechnungslegungs- und Abschlussprüfungsstandards. Obwohl der ordoliberale Ansatz zu politischen Kontroversen führen würde, sieht Véron in dem politischen Impuls zu Veränderungen, der durch die Ankündigung der CMU ausgelöst wurde, eine Chance. Dieser könnte und sollte dazu verwendet werden, das höhere Wachstumspotenzial auszuschöpfen, das bei der fundamentalen Überarbeitung der Rahmenbedingungen der Finanzmärkte versprochen wurde.

Véron erwähnte auch die politische Strategie hinter der CMU-Agenda. Großbritannien könnte die CMU-Agenda als ein positives Signal für seine Beziehung zur EU werten. Das britische Finanzsystem habe klare komparative Vorteile in den zu entwickelnden Marktsegmenten und es sei ein politisch strategischer Schachzug, dass das britische Kommissionsmitglied (Jonathan Hill) ausgewählt wurde, um die Agenda für die CMU zu entwickeln.

Nach dem Vortrag folgte eine angeregte Diskussion mit dem Publikum, in der es unter anderem um die negativen Aspekte der amerikanischen Kapitalmärkte ging, um die Frage, ob Europa diese nachahmen sollte, die Herausforderungen bei der Regulierung von Kapitalmärkten und wie Partikularinteressen überwunden werden könnten.