01 Oct 2019

Klaus Regling: Es sind noch weitere Schritte erforderlich, um den Euroraum krisenfest zu machen

SAFE Policy Panel: eine Diskussion über die Zukunft des ESM zwischen Klaus Regling, Benoît Cœuré und Jan Krahnen

Nach der Finanzkrise im Jahr 2008 versorgten die Europäische Finanzstabilitätsfazilität (EFSF) und ihr Nachfolger, der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM), Länder mit Liquidität, die den Zugang zum Kapitalmarkt verloren hatten. Klaus Regling, der erste geschäftsführende Direktor des ESM, sprach am 19. September in einem SAFE Policy Panel über die Anfänge und die Notwendigkeit der europäischen Backstop-Institution und stellte das Buch "Safeguarding the Euro in times of crisis – The inside story of the ESM" vor. Darüber hinaus diskutierte er mit Benoît Cœuré, Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank (EZB), und SAFE-Direktor Jan Krahnen über die künftige Rolle des ESM.

Regling betonte, dass die Einrichtung des EFSF und später des ESM entscheidend für die Stabilisierung der Europäischen Währungsunion (EWU) gewesen sei. "Unsere Reaktion wäre einfacher und schneller gewesen, wenn wir zu Beginn der Krise bereits einen Backstop wie den ESM gehabt hätten", so Regling. Der ESM wirkt wie eine fiskalische Säule der Währungsunion. Während die geldpolitischen Instrumente der EZB die Finanzinstitute nach der Krise stabilisierten, versorgte der EFSF jene europäischen Länder mit Liquidität, die den Zugang zu den Kapitalmärkten verloren hatten.

Regling sagte, die Krise sei nicht vorhersehbar gewesen; aus diesem Grund habe deshalb in der Währungsunion für die Mitgliedstaaten ein „Kreditgeber der letzten Instanz“ schlicht nicht existiert. Obgleich der Internationale Währungsfonds Finanzierungen für illiquide Entwicklungsländer bereitstelle, hätte seine Kapazität für die entwickelten europäischen Länder nicht ausgereicht.

Er erklärte, dass die europäischen Kreditnehmer-Länder aufgrund des langen Planungshorizonts und der guten Bonität des ESM wieder finanzielle Stabilität erlangen könnten. Für ihn besteht kein Risiko für Moral Hazard, da die Kreditvergabe an Reformen in diesen Ländern gebunden ist. Die fünf Länder, die Mittel erhalten haben – Irland, Portugal, Spanien, Zypern und Griechenland - seien nun die Länder in der EU mit der besten Performance, sagte Regling.

Die Zukunft des ESM

Bis zum Jahr 2020 wird der ESM erweitert; dann wird er dem Single Resolution Fund (SRF) einen Backstop bieten. Darüber hinaus wird sich der ESM verstärkt an der Gestaltung und Überwachung künftiger Anpassungsprogramme beteiligen und einen leichteren Zugang zu Vorsorgekrediten bieten. Regling sagte jedoch, dass er die Notwendigkeit weiterer Reformen sehe: "Es sind noch einige weitere Schritte erforderlich, um den Euroraum in Zukunft krisenfest zu machen", sagte er.

In der Diskussion schlug er drei zusätzliche Backstops vor. Erstens sei ein Backstop erforderlich, um Einlagen zu schützen; dies würde Risiken im Euroraum reduzieren und der Verbindung zwischen Banken und Staaten an Brisanz nehmen, sagte Regling.  Zweitens würde ein Backstop für Liquidität im Abwicklungsfall potenziellen Engpässen entgegenwirken.

Dies sei aber ein schwieriges Thema, da der ESM nicht über ausreichende Ressourcen für diese Aufgabe verfügen würde.   Drittens könne ein Backstop für makroökonomische Stabilisierung die Architektur der EMU vervollständigen. Regling schlug einen revolvierenden Fonds vor, der die nationalen Fiskalpuffer ergänzen könnte.  Ein solcher Fonds sei nicht auf permanente Transfers zwischen den Mitgliedstaaten angewiesen. Daher könnte dieser ohne ein neues Budget geschaffen werden, wenn die Länder ihre Kredite nach der Stabilisierung zurückzahlen würden. Regling plädierte zudem für eine stärkere fiskalische Risikoteilung zwischen den Mitgliedsstaaten. Die nationalen Regierungen hätten sowohl die Geld- als auch die Wechselkurspolitik als Kriseninstrument bei makroökonomischen Schocks verloren, sagte er.

Benoît Cœuré stimmte Regling zu, dass die Fiskalpolitik nicht die Rolle spiele, die sie sollte: "Es ist höchste Zeit, dass die Fiskalpolitik die Verantwortung übernimmt", sagte Cœuré. Während Länder, die über einen fiskalischen Spielraum verfügten, diesen nutzen sollten, sei in Ländern mit hoher Staatsverschuldung der Wiederaufbau von Fiskalpuffern der beste Beitrag zur Unterstützung der einheitlichen Geldpolitik.

Wegen der Unzulänglichkeiten der ursprünglichen Architektur der EWU und des Fehlens einer privaten grenzüberschreitenden Risikoteilung habe die Geldpolitik die Hauptlast der wirtschaftlichen Anpassung tragen müssen, was die EZB im Rahmen ihres Mandats getan habe. Auf diese Weise sei die Integrität der einheitlichen Währung geschützt, die finanzielle Fragmentierung überwunden und die Wirtschaft auf einen Erholungskurs gebracht worden.

Der ESM sei ein "durchschlagender Erfolg", so Cœuré. Das ESM sei zunächst ein Start-up gewesen, habe sich aber in weniger als zehn Jahren zu einer wichtigen europäischen Institution und einem zuverlässigen Partner der EZB entwickelt.

Cœuré empfahl, den ESM in den Gemeinschaftsrahmen zu integrieren, um diesen dem Europäischen Parlament gegenüber formal rechenschaftspflichtig zu machen. Darüber hinaus erklärte er, dass Mehrheitsentscheidungen gegenüber einem Konsensvotum zu besseren ökonomischen Resultaten führen würden und dass die ESM-Bilanz genutzt werden sollte, um die gesamte Bandbreite an Backstop-Funktionen bereitzustellen, die in einer Krise von einem "Stabilitätsmechanismus" erwartet würden. 

Regling stimmte beiden Argumenten zu. Er sagte, dass er die Integration des ESM in das europäische Primärrecht befürworten würde, was eine Änderung des EU-Vertrags nötig machen würde. Im Jahr 2010 sei eine intergouvermentale Lösung richtig gewesen, weil es der schnellste Weg gewesen sei, diese Institution aufzubauen, erklärte Regling. Auch wenn Mehrheitsentscheidungen schneller seien, sei es bisher stets gelungen, einen Konsens bei Entscheidungen zu finden, wenn dies nötig gewesen sei. Regling zeigte sich aber skeptisch, ob die Mitgliedstaaten derzeit bereit seien, ihr Vetorecht aufzugeben.


Buch (in englischer Sprache): Safeguarding the Euro in times of crisis – The inside story of the ESM