04 Jul 2019

Innovative Genossenschaften für integrativeres Wachstum

SAFE Policy Lecture mit Franceso Caselli von der London School of Economics: Neuartige Genossenschaften könnten den Wohlstand besser verteilen

Traditionell organisierte Unternehmen in Fremdbesitz sind in der Lage, großen Wohlstand und Wachstum zu generieren. Allerdings scheint dieses traditionelle System Kapitaleigner zu bevorzugen. Infolgedessen ist der Wohlstand nicht gleichmäßig verteilt, was in vielen Gesellschaften zu sozialer und politischer Unzufriedenheit führt. Francesco Caselli ist skeptisch gegenüber politischen Maßnahmen, die darauf abzielen, den Wohlstand von den Reichen zu den Armen umzuverteilen. "Eine Umverteilung findet nicht statt und ist nicht von Dauer", sagte er. Caselli ist Norman Sosnow Professor of Economics an der London School of Economics. Bei einer SAFE Policy Lecture am 26. Juni im House of Finance der Goethe-Universität Frankfurt stellte er seine Idee vor, wie neu gestaltete Genossenschaften dazu beitragen könnten, Einkommensungleichheiten zu verhindern.

In diesem Konzept können anreizkompatible Genossenschaften (IC-Coops) Wachstum erzielen und gleichzeitig integrativen Wohlstand generieren und zugleich den klassischen Konflikt zwischen Arbeit und Kapital lösen. Im Gegensatz zu traditionellen Genossenschaften achten IC-Coops auf Anreize, die sie schaffen – was laut Caselli ein Grund ist, warum traditionelle Genossenschaften häufig scheitern. Daher wären IC-Coops widerstandsfähiger, sagte Caselli.

Mikro- und Makrodesign von IC-Coops

In seinem Modell schlägt Caselli vor, die Produktion von Firmen in Fremdbesitz durch selbstbestimmte Genossenschaften zu ersetzen. Dadurch wäre der Besitz nicht mehr handelbar, also gäbe es keinen Aktienmarkt. Damit wäre es auch nicht nötig, das Einkommen auf die Produktionsfaktoren zu verteilen. Dadurch würde eine inhärente Schwäche der traditionellen Genossenschaften beseitigt: der ausgeprägte Fokus auf die Gegenwart (der so genannte present bias) innerhalb von Genossenschaften. Arbeitnehmer profitieren in der Regel nicht von zukünftigen Geldflüssen, wenn sie das Unternehmen wechseln oder in Rente gehen; daher haben sie wenig Interesse an langfristigem Wachstum. Traditionelle Genossenschaften würden häufig scheitern, so Caselli, weil die Arbeitnehmer es vorziehen würden, Erträge heute schon abzuschöpfen.

Außerdem würden IC-Coops nicht unter dem sogenannten Trittbrettfahrer-Problem leiden, da eine bewusste Leistungszurückhaltung am Arbeitsplatz (so genanntes shirking) letztlich jeden Arbeitnehmer negativ beeinflusse, erklärte Caselli. Da die Vergütung aller Mitarbeiter an den Erfolg der Genossenschaft gebunden sei, habe jeder Mitarbeiter einen Anreiz, den Job anzunehmen, für den er am besten geeignet ist. Tatsächlich gäbe es für jeden Mitarbeiter einen Anreiz, eine hohe Leistung zu erbringen, da die Arbeitnehmer die alleinig Berechtigten des erzielten Einkommens der Genossenschaft wären, argumentierte Caselli.

Laut Caselli gebe es außerdem einige Hinweise aus der Empirie, dass Mitarbeiter dazu neigen, sich gegenseitig zu kontrollieren. Statistiken zeigten auch, dass die wahrgenommenen Lohnunterschiede stark mit Motivation und Treue zum Unternehmen korrelieren würden, erklärte Caselli. Er kritisierte, dass die Strategie, hohe Leistung durch eine egalitärere bei der Bezahlung aller Mitarbeiter zu erzielen, in den Diskussionen zu oft vernachlässigt werde.

Caselli wies darauf hin, dass auf der Makroebene die meisten Institutionen wie etwa die Sozialversicherung bestehen bleiben würden. IC-Coops würden immer noch um Kunden konkurrieren und wären mit dem Bankrott konfrontiert, wenn sie Verluste machten, sagte er.

Mehr Gleichheit, weniger Wachstum

In seinem Modell sind Kapitalmärkte die Ausnahme. Einige Genossenschaften, die im Grunde als Pensionsfonds fungieren, könnten überschüssige Gewinne von Arbeitnehmern einsammeln und so Kredite an Unternehmer vergeben. Caselli sagte, dass die traditionellen Finanzmärkte dazu neigen würden, die Einkommensungleichheit zu verstärken, weil dort nur die Wohlhabenden aktiv seien. Im Gegensatz dazu würden Pensionsfonds alle Personen betreffen und eine natürliche Risikostreuung bieten. Auch wenn Private-Equity- und Hedge-Fonds bei der Zuteilung von Mitteln effizienter sein könnten, wie er einräumte, wäre das daraus resultierende Wachstum integrativer.

Aber könnte eine solche Produktionswirtschaft Wachstum generieren? Laut Caselli gibt es sehr starke Hinweise darauf, dass Genossenschaften langfristig profitabel sein könnten. Einige moderne Genossenschaften würden es offensichtlich schaffen, neben fremdfinanzierten Unternehmen zu existieren, sagte er. Caselli räumte jedoch ein, dass es einen Zielkonflikt zwischen Wirtschaftswachstum und Ungleichheit gebe. Anreizkompatible Genossenschaften könnten kein maximales Wachstum generieren. „Mein Bauchgefühl ist, dass es ein etwas geringeres Wachstum geben würde, aber viel mehr Gleichheit", sagte Caselli.

Er sprach auch über die Gestaltung des Übergangs zu seinem Modell. Der „top-down“-Ansatz zur Stärkung der Position der Genossenschaften würde tiefgreifende Änderungen des Zivil- und Handelsrechts erfordern, sagte er. Caselli würde es deshalb vorziehen, dass die Genossenschaften organisch wachsen, sofern sie den Gegenwartsfokus überwinden und größer, erfolgreicher und widerstandsfähiger werden. Die Erfolgsaussichten seien in Entwicklungsländern höher, wo es viele kleine private Unternehmen gebe und linksgerichtete Regierungen willens seien, diese Ideen in die Tat umzusetzen.