Am 20. Juni 2024 veranstaltete das Leibniz-Institut für Finanzmarktforschung SAFE gemeinsam mit dem House of Finance und dem Institut für Bank- und Finanzgeschichte e.V. einen finanzhistorischen Workshop mit dem Titel „States of Distress: Sovereign Debt Crises and the World They Made 18th – 20th Century”. Das gemeinsam organisierte Event führte namhafte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusammen, um die historischen Auswirkungen von Staatsschuldenkrisen auf politische Entscheidungen und staatliche Souveränität zu analysieren.
Florian Heider, wissenschaftlicher Direktor von SAFE, begrüßte die Teilnehmenden, gefolgt von einer kurzen Einführung durch Marc Flandreau, derzeit Stiftungsgastprofessor für Finanzgeschichte an der Goethe-Universität Frankfurt und Howard S. Marks Professor für Wirtschaftsgeschichte an der University of Pennsylvania: „Zunächst einmal freue ich mich besonders, weil Frankfurt und Philadelphia Schwesterstädte sind und eine lange historische Verbindung zueinander haben. Ich freue mich, nun Teil dieses Austauschs zu sein, da ich derzeit in Frankfurt lehren darf.“ Er betonte die Bedeutung der interdisziplinären Zusammenarbeit und hob die langjährigen Verbindungen zwischen beiden Städten hervor, die für ihren historischen und aktuellen Stellenwert in der Finanzgeschichte bekannt sind.
Flandreau hielt den Keynote-Vortrag zum Thema „Rise of the Vultures: Jobbing Nations in the early 19th century London Stock Exchange”, der die inhaltliche Grundlage des Workshops bildete. In seinem Vortrag erläuterte er den Einfluss der Börsen auf die finanzielle und politische Sphäre, die Verflechtung des wirtschaftlichen und politischen Umfelds und die bedeutenden politischen Veränderungen während des Revolutionszeitalters, die mit den wirtschaftlichen Entwicklungen verbunden waren. Flandreau behandelte auch das Konzept des “Distressed Debt Cycles” und Strategien wie das „Loan To Own“-Prinzip anhand von Fallstudien wie dem „Portuguese Job“ (1824-1834). Karina Patrício Ferreira Lima diskutierte kritische Aspekte des Vortrags. Sie befasste sich aus juristischer Sicht mit den von den Investoren angewandten juristischen Strategien und den sich daraus ergebenden Auswirkungen auf die rechtlichen Abläufe in Portugal.
Interdisziplinärer Austausch bereichert die Diskussionen
Neben der Keynote von Marc Flandreau gab es beim Workshop mehrere Vorträge zum Thema Staatsschuldenkrisen. Peter T. Veru von der University of Colorado präsentierte ein Beispiel für Investor-Relations-Aktivitäten im 18. Jahrhundert, die darauf abzielten, Geld zu beschaffen und einen Zahlungsausfall zu verhindern. Geopolitische Hintergründe der Preisbildung von Staatsschulden und Umstrukturierungsprozesse sowie Herausforderungen, die sich aus der zunehmenden Komplexität der Gläubigerstrukturen ergeben. Damian Clavel von der Universität Zürich untersuchte die Nachwirkungen des Poyais-Crashs in „After the Poyais Crash: Moskitia in the Scramble for Central America 1824-1842“, mit einem Kommentar von Mariusz Lukaviewicz von der Universität Leipzig. Maria Stella Chiaruttini von der Universität Wien erläuterte in „Born in debt“, wie die Staatsverschuldung das Italien des 19. Jahrhunderts prägte, gefolgt von einem Kommentar von Gabriel Geisler Mesevage vom King’s College London.
Elya Zang von der University of Pittsburgh präsentierte „Modern China’s Defaults and their Legal Afterlives”, mit einem Kommentar von Tobias Straumann von der Universität Zürich. Kim Oosterlinck von der Université Libre de Bruxelles präsentierte eine gemeinsame Arbeit zum Thema „Domino Secessions: Evidence from the U.S.“, gefolgt von Anmerkungen von Vincent Bignon von der Banque de France. Im Anschluss präsentierte Tobias Straumann seine Arbeit “The Young Debts and their Aftermath“, welche von Marc Flandreau kommentiert wurde. Karina Patrício Ferreira Lima von der University of Leeds schloss mit “Beyond Gentlemen’s Agreements“, in dem sie die Diversifizierung der Gläubiger und die rechtliche Steuerung bei der Umstrukturierung von Staatsschulden untersuchte. Kommentiert wurde diese Arbeit von Kim Oosterlinck. Carsten Detken, Abteilungsleiter bei der Europäischen Zentralbank hielt eine weitere Keynote zum Thema „Von der europäischen Schuldenkrise zum neuen makroprudenziellen Regime: Eine kurze Geschichte“ und zeigte die Entwicklung der makroprudenziellen Politik auf, nicht zuletzt als Antwort auf die aktuellen Herausforderungen der Schuldenkrise. Die interdisziplinären Vorträge bereicherten die Diskussionen über historische und moderne Staatsschuldenprobleme.
Der Workshop zur Finanzgeschichte bot einen detaillierten Überblick über die Entwicklung von Finanzinstrumenten, Schuldenmanagementstrategien und den rechtlichen und institutionellen Rahmen, der diesen Praktiken zugrunde liegt. Anhand historischer Zusammenhänge und Fallstudien konnten die Teilnehmenden umfassend nachvollziehen, wie sich die Finanzmärkte und Rechtssysteme angepasst haben, um finanzielle Notlagen zu bewältigen und die wirtschaftliche Stabilität zu fördern.