01 Oct 2021

Grenzen des digitalen Lernens

Die Diskussion mit Vertreterinnen und Vertretern aus Frankfurter Wissenschaftseinrichtungen zeigt positive und negative Folgen für die Bildung in der Coronapandemie

Die Coronapandemie hat gezeigt, dass insbesondere abseits der Universitäten die digitalen Infrastrukturen dringend ausgebaut werden müssen. In diesem Punkt herrschte Einigkeit bei der Online-Diskussion „Frankfurter interdisziplinäre Live-Debatte“ am 21. September 2021, bei der Jan Pieter Krahnen (Leibniz-Institut für Finanzmarktforschung SAFE), Nicole Deitelhoff (Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, HSFK), Stefanie Dimmeler (Cardio Pulmonary Institute, CPI) und Klaus Günther (Exzellenzcluster Normative Ordnungen der Goethe-Universität Frankfurt) zum Thema „Studieren, Forschen, Lehren trotz Corona-Pandemie“ persönliche Lehr- und Lernerfahrungen aus der Coronapandemie einbrachten und zeigten die Grenzen und Möglichkeiten der Digitalisierung in der Bildung auf. Das richtige oder notwendige Maß zwischen Präsenz- und Digitallehre zu finden, ist jedoch von vielen Faktoren abhängig, stellte sich in der von Hörfunkjournalistin Doris Renck moderierten Diskussion heraus.  

Es sei keine Option zu einer Lehre ohne digitale Unterstützung zurückzukehren, eröffnete SAFE-Direktor Krahnen die Runde. Die Coronakrise habe gezeigt, dass das deutsche Bildungssystem nicht resilient sei für Krisenzeiten. Die Bildung müsse in das 21. Jahrhundert gebracht werden. Dazu müssten Lehrkräfte ihre Arbeitstechniken anpassen: „Die Lehrenden gehören in die Schule“, forderte er. Digitalisierung sei die Schlüsselqualifikation schlechthin, Lehrkräfte müssten dabei gezielt unterstützt werden. Das – in einigen (Hoch)Schulen praktizierte – Modell des „reverse teaching“ könnte eine Möglichkeit sein, Lehrkräfte von den mitunter fortgeschritteneren Digitalkompetenzen ihrer Schüler:innen profitierten zu lassen.  

Bitte akzeptieren Sie Marketing-Cookies , um dieses Video ansehen zu können.

Es sei wichtig, das derzeit „transformresistente“ Bildungssystem auf ein hybrides System umzustellen, damit in zukünftigen Krisen insbesondere Schüler:innen das Lernen weiter möglich ist. In den Schulen sei in der andauernden Coronakrise kein nennenswerter, allgemeiner Innovationsschub zu vermelden, so Krahnen. 

„In so einer Krise muss man schauen, dass man überlebt und nicht, es besonders gut zu machen“, argumentierte Rechtswissenschaftler Klaus Günther. Er forderte für die verbesserte digitalen Infrastruktur mehr unbürokratische Unterstützung der Politik über Wahlperioden hinaus – die Lehrinstitute könnten das allein nicht leisten. Schulen bräuchten beispielsweise gleiche Voraussetzungen, um Angebote des privaten Markts von Lernplattformen und digitalen Lehrangeboten wahrzunehmen. Das sei eine Voraussetzung für mehr Bildungsgerechtigkeit. 

Eine generell digitale Bildungslandschaft können sich dagegen Stefanie Dimmeler und Nicole Deitelhoff nicht vorstellen, wie in der Debatte deutlich wurde. Um neben Wissen auch Kompetenzen zu vermitteln, sei die Interaktion mit Lehrpersonal und Klassenkameraden vor Ort nicht nur für jüngere Schüler:innen wichtig, argumentierten die beiden Wissenschaftlerinnen. 

Grenzen zwischen Lern- und Privatwelt wichtig 

Mehr Flexibilität des Bildungssystems, wie von Krahnen gefordert, sei nicht grundsätzlich positiv. „Wir sollten nicht verstärkt auf digitale Angebote setzen“, warnte Deitelhoff. Dadurch verschwämmen die Grenzen zwischen Lern- und Privatwelt. Dies überfordere Grundschulkinder, genauso wie Studierende. Die Politologin gab zu bedenken, dass es nur in Präsenz möglich sei, zu erkennen, wie es den Studierenden gehe: „Wir sind auch Kümmerer“, sagte sie.  

Krahnen ergänzte, dass es zwar digital einfacher sei, sich weltweit zu verbinden, es fehle aber das „Vertrauensverhältnis“ wie bei Begegnungen vor Ort im persönlicheren Rahmen. „Wir sollten die Universität als Ort der Begegnung nicht abschaffen“, stimmte Günther zu.  

Spätestens bei der Vermittlung praktischer Fähigkeiten hätte das Digitale seine Grenzen: „Hier ist „learning by doing“ das Stichwort“, sagte Dimmeler. Studierenden könne die Biochemikerin so beispielsweise keine Laborpraktika anbieten. Diese sollten sich, wenn möglich, impfen lassen. So könne sie besser planen und andere Labormitarbeitende schützen.  


Im Mai 2021 fand die erste „Frankfurter interdisziplinäre Live-Debatte“ zum Thema „Zukunft der Solidarität“ statt. Die Veranstaltungsreihe zum Leitthema „Zukunft Post-Covid“ tragen neben dem Leibniz-Institut SAFE, das Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, der Forschungsverbund „Normative Ordnungen“ der Goethe-Universität Frankfurt sowie das Exzellenzcluster „Cardio-Pulmonary Institute“ der Universitäten Frankfurt und Gießen zusammen mit dem Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung. Moderiert wird die Diskussion von Doris Renck, Journalistin des Hessischen Rundfunks. Die Podiumsdiskussionen beruhen auf dem im Jahr 2020 gegründete Blog der Institute. 

Mehr Informationen zur "Frankfurter interdisziplinären Debatte" 

Laura Thomale

Referentin für Öffentlichkeitsarbeit