Gemeinhin wird von Frauen angenommen, dass sie sich mehr als Männer um ihre Mitmenschen kümmern. Im Durchschnitt trifft das sogar zu. Betreten wir allerdings die Vorstandsetagen von Unternehmen, ändert sich das Bild: Frauen in Führungspositionen sind nicht nur deutlich machtorientierter als Frauen in der durchschnittlichen Bevölkerung, sondern auch machtorientierter als Männer in der Vorstandsetage, stellte Renée B. Adams in einem SAFE Policy Web Seminar fest.
Die Professorin für Finance an der Saïd Business School der Universität Oxford erläuterte zudem, wie diese Beobachtung im Kontext aktueller Trends in der Unternehmensführung („Corporate Governance“) zu interpretieren ist. Dabei machte Adams deutlich, dass in der Debatte um weibliche Führungskräfte eine Menge Stereotypisierungen vorherrschen, die einem prüfenden Blick kaum standhalten.
Mit Blick auf die gegenwärtigen Entwicklungen im Feld der Corporate Governance hob die Ökonomin zunächst hervor, dass es erstens eine zunehmende Geschlechtervielfalt auf Führungsebenen in Unternehmen gebe. Zweitens würden ESG- („Environment Social Governance“) und CSR-Kriterien („Corporate Social Responsibility“) für Unternehmen immer wichtiger. Parallel dazu existiere ein weit verbreitetes Gesellschaftsbild, wonach sich Frauen achtsamer und fürsorglicher gegenüber ihren Mitmenschen verhalten würden als Männer – was in der allgemeinen Wahrnehmung darauf hindeute, dass mehr Frauen in Führungsriegen von Unternehmen bedeuten müsse: „Wer sich um andere kümmert, kümmert sich auch um die Stakeholder eines Unternehmens.“ Nur entspreche diese Annahme eben nicht der Realität.
Zwei unterschiedliche Debatten
„Frauen in Vorständen sind nicht dieselben Frauen im Vergleich zum Durchschnitt in der Bevölkerung“, betonte Adams. Neben der unterschiedlichen Ausprägung von Machtorientierung zwischen weiblichen Unternehmensvorständen, der durchschnittlichen weiblichen Bevölkerung und männlichen Vorständen gebe es erhebliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern bei der Stakeholder-/Shareholder-Orientierung im internationalen Vergleich.
Ihren eigenen Forschungsergebnissen zufolge seien weibliche Vorstände zum Beispiel in den USA, Großbritannien und Australien eher Shareholder-orientiert, während sich in Spanien, Irland und Schweden eine Stakeholder-Orientierung zeige. „Der Grund dafür ist, dass sowohl Werte als auch Auswahlverfahren von Land zu Land unterschiedlich sind“, erklärte Adams. Zudem würden sich innerhalb von Ländern Nominierungs- und Auswahlverfahren von Vorständen im Laufe der Zeit ändern, was möglicherweise auch politisch motiviert sei.
Vor diesem Hintergrund komme es einem Klischee gleich, weibliche Vorstände in Unternehmen mit einer höheren sozialen Verantwortung des Unternehmens gleichzusetzen. „Wir sprechen hier von zwei Paar Schuhen“, betonte Adams. Die Debatte um Frauen in Vorständen sei eine andere als die Debatte um mehr Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern. Letzteres sei tatsächlich eine Diskussion über Menschenrechte. „Frauen müssen und sollten sich nicht für ihren Platz am Tisch rechtfertigen müssen“, so die Finanzökonomin.
Das Video zum SAFE Policy Web Seminar in voller Länge