01 Nov 2016

Frankfurt Conference on Financial Market Policy 2016: Die Herausforderung durch niedrige Zinsen

Niedrige Zinsen und Renditen sind ein Erbe der jüngsten Finanzkrise. Vor diesem Hintergrund widmete das SAFE Policy Center die vierte Frankfurt Conference on Financial Market Policy am 28. Oktober 2016 an der Goethe-Universität Frankfurt dem Thema “Challenged by Low Interest Rates”. Nach einer Begrüßung durch Raimond Maurer, Dekan des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften, und einer Einführung durch JanPieter Krahnen, Programmdirektor des SAFE Policy Center, hielt Benoît Cœuré, Mitglied des Executive Board der Europäischen Zentralbank (ECB), eine Keynote-Ansprache zum Thema Geldpolitik in Zeiten niedrigen Wachstums.

Cœuré zufolge übe die schwache Wirtschaft der Eurozone einen Abwärtsdruck auf die Inflation aus. Pessimistische Erwartungen hinsichtlich zukünftigen Wachstums und Einkommensperspektiven führten zu niedrigem Konsum und geringen Investitionen, was die Produktionslücke wiederum vergrößere. Die EZB müsse daher ihre unkonventionellen Maßnahmen fortsetzen, um ihr Inflationsziel zu erreichen. Laut Cœuré sei es Aufgabe von Zentralbanken, den Zinssatz zur Generierung von Inflationsdruck in der Wirtschaft unter das Gleichgewichtsniveau zu senken. Niedrige oder auch negative Zinssätze seien eine unmittelbare Konsequenz des gesunkenen Gleichgewichtszinses. Cœuré wies darauf hin, dass die aktuelle Geldpolitik der EZB den gewünschten Effekt in der Eurozone erziele und es bisher kaum Anzeichen für unerwünschte Nebenwirkungen gebe. Er gab jedoch zu, dass solche Nebenwirkungen die Effektivität der EZB-Maßnahmen beeinträchtigen könnten, wenn die Zinsen zu lange niedrig blieben. Er betonte, dass strukturelle Probleme struktureller Lösungen bedürften und somit andere Akteure einen Teil der Last schultern müssten, um die Widerstandsfähigkeit der Eurozone mittelfristig zu sichern. Er forderte die Vollendung der Bankenunion und der Kapitalmarktunion sowie eine Lösung der Verknüpfung von Banken und nationalen Regierungen.

Private Geldanlage im Niedrigzinsumfeld

Das erste von drei Paneldiskussionen drehte sich um das Thema „Managing private portfolios in a low return environment“ und wurde von Andreas Hackethal (SAFE & Goethe-Universität) moderiert. Isabelle Mateos y Lago (BlackRock) betonte, dass niedrige Zinsen nicht notwendigerweise niedrige Renditen bedeuteten. Risiken würden immer noch belohnt, eine Anpassung an das neue ökonomische Umfeld müsse jedoch in jedem Fall stattfinden. Thomas C. Wilson, (Allianz SE) nannte in diesem Zusammenhang eine gewisse Risikoverschiebung hin zum Konsumenten als einen potenziellen Ansatz. Dabei könne der Fokus auf transparente Produkte gelegt werden, deren Verwaltung mit angemessenem Aufwand möglich wäre. Raimond Maurer und Helmut Gründl (beide SAFE & Goethe-Universität) vertraten die Perspektive der privaten Haushalte. Mauer forderte eine Änderung der Anlagekultur weg von Altersvorsorgeprodukten mit umfangreichen Garantien und prognostizierte durchaus eine Nachfrage für solche Produkte. Gründl sprach sich für eine bessere finanzielle Allgemeinbildung aus.

Öffentliches Schuldenmanagement angesichts niedriger Zinsen

Die zweite Diskussionsrunde, moderiert von Jürgen Schaaf (EZB), beschäftigte sich mit den Folgen der niedrigen Zinsen für das Management von Staatsschulden. Alfons Weichenrieder (SAFE & Goethe-Universität) wies darauf hin, dass die Zinsen schon seit sehr langer Zeit sinken – nicht erst seit der Finanzkrise. Um die finanziellen Handlungsoptionen von Staaten zu beurteilen, sei jedoch nicht der Zinssatz, sondern die Differenz zwischen Wachstumsrate und Zinssatz entscheidend. Laut Tammo Diemer (Deutsche Finanzagentur) habe das aktuelle Zinsumfeld die Struktur der Halter deutscher Staatspapiere verschoben von privaten Anteilseignern hin zu Zentralbanken. Mit Blick auf die Laufzeit neuer Schuldpapiere stehe die Deutsche Finanzagentur stets vor einem Trade-off zwischen Planungssicherheit (lange Laufzeiten) und Rollover-Kosten (kurze Laufzeiten). Christian Kastrop (OECD) bezweifelte, dass die EZB gegen eine erneute Finanzkrise effektiv vorgehen könne, falls die Niedrigzinsphase und die Politik des Quantitative Easing weiter anhielten. Er forderte – bei entsprechendem finanzpolitischem Spielraum – eine expansivere Wirtschaftspolitik, um die negativen Effekte der Schuldenkrise zu mildern. Michael Heise (Allianz SE) warnte vor einem plötzlichen Zinsanstieg, der mit großen Gefahren für Regierungen, Finanzmärkte und Versicherungsunternehmen verbunden sei.

Der Bankensektor zwischen niedrigen Zinsen und hohen Kapitalkosten

Das dritte Panel, moderiert von Hans-Helmut Kotz (SAFE & Harvard University), diskutierte über die Herausforderungen des aktuellen Umfelds für die Finanzinstitute. Laut Adam Posen (Peterson Institute) existierten die strukturellen Probleme im europäischen Bankensystem bereits vor der Finanzkrise. Ursache der niedrigen Zinsen sei nach seiner Ansicht die schwache Konjunktur. Aufgrund eines niedrigen Produktivitätswachstums und eines geringen demographischen Wachstums gebe es aktuell schlicht keine Hochzins-Investitionsprojekte. Die Existenz einer „säkularen Stagnation“ sei nicht länger zu leugnen. Luc Laeven (ECB) betonte, dass man die Geldpolitik nicht nach ihren Auswirkungen auf individuelle Banken oder das Bankensystem beurteilen solle, sondern nach ihren Folgen für die Gesamtwirtschaft. Geldpolitik beeinflusse nicht nur die Quantität, sondern auch die Qualität der von Banken vergebenen Kredite. Die Banken hätten unter anderem von Re-Evaluations-Gewinnen auf ihre zinsbringenden Aktiva auf Grund der niedrigeren Zinsen profitiert. Lorenzo Bini Smaghi (Société Générale) zählte eine Reihe von Herausforderungen für den Bankensektor auf: große Sparvolumina bei mangelnden Investitionsmöglichkeiten; unvollendete regulatorische Rahmenbedingungen und somit Planungsunsicherheit; Konkurrenz durch FinTechs; Altlasten durch faule Kredite in den Bilanzen. Er betonte, dass all diese Herausforderungen nichts mit Geldpolitik zu tun hätten. Zudem wies er darauf hin, dass Banken in Ländern mit einer hohen Konzentration des Bankensektors, wie Niederlande oder Schweden, profitabler seien als Institute in Ländern mit einem fragmentierten Bankensektor.