16 May 2014

Die Macht kollektiver Untätigkeit

Bankenrettungen während der Finanzkrise haben den Einfluss des Finanzsektors auf nationale Regierungen deutlich gemacht. In ihrem kürzlich erschienenem Buch „The Power of Inaction“ vergleicht Cornelia Woll, Professorin für Politikwissenschaft am Science Po in Paris, Bankenrettungspakete in verschiedenen Ländern. Allgemein wird angenommen, dass die Kosten durch Bankenrettungsmaßnahmen, die von der Industrie zu tragen sind, davon abhängen, wieviel Einfluss der Staat gegenüber der Industrielobby hat. Woll stellt eine alternative Erklärung vor: Wenn der Finanzsektor sich kollektiv dagegen entscheidet aktiv zu handeln, wird die Gestaltung der Rettungspakete immer zu Gunsten der Finanzindustrie ausfallen. Am 14. Mai präsentierte sie ihre Ergebnisse auf einem Vortrag des SAFE Policy Centers im House of Finance.

Eine gängige Erklärung, weshalb Banken in der Krise überhaupt gerettet wurden, sei der große Einfluss der Finanzindustrie auf die Politik, sagte Woll. Ein weiterer Grund sei, dass die Regierungen vor allem die Ausbreitung systemischer Risiken im Finanzsektor verhindern wollten. Laut Woll hängen die Bankenrettungsmaßnahmen in den einzelnen Ländern jedoch entscheidend davon ab, ob Banken ihren Einfluss auf die Politik kollektiv ausspielen, wenn ein Zusammenbruch unmittelbar bevorsteht. Um die Konstruktionen von Bankenrettungspaketen zu untersuchen, verglich Woll, wie Regierungen in verschiedenen Ländern mit der Finanzindustrie kooperierten, wenn es um die konkrete Ausgestaltung von Maßnahmen ging. Sie präsentierte ihre Ergebnisse für die USA, Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Irland und Dänemark.

Zunächst verglich Woll Irland mit Dänemark – zwei kleine, offene Volkswirtschaften mit relativ großem Bankenmarkt. In Dänemark fiel das Ergebnis des Bankenrettungspakets positiv aus, obwohl insgesamt neun dänische Banken Pleite gingen. Das positive Ergebnis sei laut Woll darauf zurückzuführen, dass das dänische Bankenrettungspaket auf einer Vereinbarung zwischen dem öffentlichen und privaten Sektor basierte, der „Danish Private Contingency Association”. Dänemark hätte außerdem die Halter nachrangiger Anleihen an den Kosten beteiligt und tatsächlich auch Banken insolvent gehen lassen, argumentierte Woll. Der Staat hatte das Rettungspaket gemeinsam mit den Banken entwickelt, was letztlich zu einem abgestimmten Handeln im öffentlichen Interesse führte. Im Gegensatz dazu habe die irische Regierung entschieden, sich nicht auf die Industrie zu verlassen. Ihre Rettungsstrategie blieb inkohärent, und sie nahm die Banken übermäßig in Schutz, was schließlich zu einer Staatsschuldenkrise führte.

Danach verglich Woll Frankreich und Deutschland – zwei große offene Volkswirtschaften, deren Wirtschaften stark bankenfinanziert sind. Das Rettungspaket in Frankreich sei insgesamt positiv zu beurteilen (bis auf den Fall von Dexia). Woll rechnete diesen Erfolg der gemeinsam abgestimmten Vorgehensweise von Staat und Banken zu. In Frankreich sei ein „Kartell“ geschlossen worden, das in einer koordinierten öffentlich-privaten Maßnahme Liquidität bereitgestellt und Rekapitalisierungen kollektiv anerkannt habe. In Deutschland habe es einige Versuche gegeben, die Finanzindustrie an der Konzeption der Rettungspakete zu beteiligen, allerdings nicht so erfolgreich wie in Dänemark oder Frankreich. Deutschland müsse jetzt mit großen Abschreibungen rechnen. Als letztes verglich Woll die USA und Großbritannien miteinander, deren Wirtschaft hauptsächlich marktfinanziert ist.

Woll kam zu dem Ergebnis, dass, wenn es dem Finanzsektor gelingt, kollektiv untätig zu bleiben, wie in Großbritannien oder Irland, die größte Last auf den Regierungen und damit dem Steuerzahler liegt. Sie ist der Ansicht, dass die kollektive Untätigkeit der Finanzindustrie ein Zeichen für deren Macht ist, die letztlich auch darüber entscheidet, in welchem Umfang der öffentliche oder private Sektor die Kosten für Bankenrettungen mitträgt. Auf die Frage, welche Schlüsse sich daraus für die Bankenunion ziehen lassen, sagte Woll, dass das häufig hervorgebrachte Argument, dass die enge Verbindung zwischen nationalen Bankenaufsichten und nationalen Champions aufgebrochen werden müsse, nicht das soziale Kapital berücksichtige. Das soziale Kapital von langfristigen persönlichen Beziehungen könne sich auch positiv auf die Verhandlungen in Krisenzeiten auswirken, wenn kurzfristig ein Interesse an der Übernahme gemeinsamer Verantwortung besteht.

Policy Publikation zum Thema von Cornelia Woll