06 Jun 2019

„Die Gesamtstrategie ist wichtiger als einzelne Instrumente“

Wissenschaftler und Praktiker diskutieren Nutzen und Strategien des öffentlichen Schuldenmanagements an der Goethe-Universität

Das Schuldenmanagement der öffentlichen Hand steht immer wieder in der Diskussion. Dabei setzen Bund und Länder Finanzprodukte wie etwa Derivate ein, um sich gegen Zinsänderungsrisiken abzusichern. Wenn sich der Zinssatz anders entwickelt als gedacht, kann dies potentiell zu Verlusten führen. Einzelne Stimmen fordern deshalb bereits ein Verbot derivativer Finanzprodukte für das öffentliche Schuldenmanagement. Am 27. Mai 2019 diskutierten Wissenschaftler bei einer Veranstaltung des LOEWE-Zentrums SAFE mit Vertretern aus Politik und Praxis am Campus Westend der Goethe-Universität Frankfurt, wie ein effizientes Schuldenmanagement der öffentlichen Hand aussehen sollte.

Thomas Schäfer, Staatsminister für Finanzen in Hessen, sagte, dass das übergeordnete Ziel des staatlichen Schuldenmanagements sei, jederzeit die Zahlungsfähigkeit des Landes herzustellen. Drei Aspekte seien bei der strategischen Ausrichtung des hessischen Schuldenmanagements von großer Bedeutung. „Zukunft muss planbar sein“, sagte Schäfer. Staatliche Programme liefen kontinuierlich und müssten finanzierbar bleiben, ohne dass sich die Steuerbelastung über die Zeit stark verändere. Zweitens könne eine Verschuldungsstrategie nur ex ante beurteilt werden – und nicht mit Informationen, die erst später zur Verfügung standen. Drittens könne das Portfolio nur als Ganzes bewertet werden. „Die Gesamtstrategie ist wichtiger als einzelne Instrumente“, sagte Schäfer.

Weniger Spielraum für den Bund

Tammo Diemer, Geschäftsführer der Deutschen Finanzagentur und damit zuständig für die Finanzierung des Bundes, hob den Zielkonflikt zwischen einer kostengünstigen Finanzierung und Planungssicherheit hervor. So seien im Vergleich zu 30-jährigen Bundesanleihen kurzfristige Schuldtitel mit einer zweijährigen Laufzeit sehr günstig. Bei dieser Variante müsse sich der Bund aber nach Ablauf neu finanzieren, mit unsicheren Finanzierungsbedingungen. In jedem Haushaltsjahr lege Deutschland rund 18 Prozent seiner Schulden neu auf, sagte Diemer. Folge des Zielkonflikts sei ein möglichst diversifiziertes Produktportfolio: Der Bund nutze neben den fünf Standardanleihen (mit Laufzeiten von sechs Monaten bis zu 30 Jahren) auch Finanzierungsinstrumente wie inflationsindexierte Anleihen und Zinsderivate, die einen wertvollen Beitrag zu einer stärkeren Diversifizierung des Schuldenportfolios leisten würden. Beim Laufzeitenmix müsse der Bund aber neben den Kosten und der Planungssicherheit auch berücksichtigen, dass alle relevanten Laufzeiten im Emissionskalender ausreichend genutzt würden, um sie liquide zu halten. Bestimmte Versicherungsprodukte könne die Finanzagentur zudem nicht strategisch einsetzen: „Wir scheitern an der Tatsache, dass der Markt zu klein ist für solche Geschäfte“, sagte Diemer. 

Aus der wissenschaftlichen Perspektive wären solche Produkte in der Tat sinnvoll, erklärte Alfons Weichenrieder, Professor für Public Finance an der Goethe-Universität. Zwar sei in einer geschlossenen Volkswirtschaft das Zinserhöhungsrisiko der öffentlichen Hand gleichzeitig die Zinserhöhungschance des Bürgers als Investor. Dennoch sei es vorteilhaft, sowohl Steuerbelastung als auch Staatsausgaben über den Zeitverlauf zu glätten. Dies sei volkswirtschaftlich günstiger, als den Steuersatz je nach Finanzierungsbedarf zu erhöhen oder zu senken. Außerdem sollte sich der Staat aus der Sicht von Weichenrieder in Niedrigzinsphasen weniger verschulden.

Christian Schlag, Professor für Derivate und Financial Engineering an der Goethe-Universität betonte, dass das richtige methodische Vorgehen nötig sei, um eine Strategie ex ante – also zum Zeitpunkt der Entscheidung – beurteilen zu können. Dafür müssten verschiedene Szenarien mit allen denkbaren Zinspfaden simuliert werden. Ausgehend von den modellbasierten Simulationen könnten Schuldenmanager dann anhand der Verteilung von Chancen und Risiken eine Strategie ableiten, so Schlag. Mit Blick auf das Schuldenmanagement der Öffentlichen Hand empfahl Schlag, die Entscheidung für eine bestimmte Strategie der Öffentlichkeit stärker zugänglich und damit überprüfbar zu machen.