18 Oct 2021

Das Rollenspiel von Religion und Märkten

In einem SAFE Policy Web Seminar ging es darum zu verstehen, wie bestimmte Glaubensbekenntnisse traditionelle ökonomische Denkschulen beeinflusst haben und damit auch das heutige Wirtschaftsverständnis prägen

Klassische Ökonomen wie Adam Smith gelten selten als besonders religiös. Doch sahen sie sich seinerzeit einem Umfeld ausgesetzt, das maßgeblich vom Glaubensbekenntnis der protestantischen Kirche geprägt war. Insofern gilt es, religiös-kulturelle Einflüsse in die Arbeiten und daraus entwickelten Lehren der (Vor-)Klassik einzupreisen, die uns bis heute begleiten. In dem SAFE Policy Web Seminar zum Thema „Religious Roots of Capitalism“ am 11. Oktober 2021 betonte Harvard-Ökonom Benjamin Friedman, dass diese Einflüsse des Protestantismus ein Anhaltspunkt für die Suche danach sind, woher unser modernes Verständnis von Ökonomie stammt.

Zu Beginn der Veranstaltung machte Friedman klar, dass es nicht um eine Kausalität zwischen Religion und dem Homo oeconomicus gehe. Zwar lasse sich nachvollziehen, dass etwa die puritanisch-calvinistische Ethik durchaus in ökonomischem Verhalten von Menschen auch heute noch zum Ausdruck komme, zum Beispiel bei einem Vergleich der Jahresarbeitsstunden pro Arbeitnehmer:innen in Europa und den USA. Das Ziel, das Friedman mit seiner aktuellen Buchveröffentlichung „Religion and the Rise of Capitalism“ verfolge, sei aber vielmehr, den Wurzeln moderner Volkswirtschaften auf den Grund zu gehen. Über seine Betrachtungen diskutierten mit Friedman in dem von SAFE Senior Policy Fellow Hans-Helmut Kotz organisierten und moderierten Seminar die Philosophin und Sozialwissenschaftlerin Lisa Herzog von der Universität Groningen sowie der Ökonom Harald Hagemann, ehemaliger Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Wachstum und Verteilung, an der Universität Hohenheim.

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„Die Rolle religiösen Denkens hat sowohl die frühe als auch spätere Entwicklung der US-Wirtschaft entscheidend geprägt“, verdeutlichte Friedman in seinem Vortrag. Festmachen ließe sich diese Entwicklung an dem Streit über Freihandel und Protektionismus und der Debatte um die Funktion des Staates im 19. Jahrhundert sowie der „New Deal“-Politik von US-Präsident Franklin D. Roosevelt, in der sich die christlich-soziale Dimension widerspiegele. Eine Rolle, die bis heute in gesellschaftlichen Tendenzen zu finden sei. „Das sehen wir in den USA, wenn Evangelikale in Mississippi und Kentucky aus vergleichsweise niedrigen sozio-ökonomischen Verhältnissen gegen ihre wirtschaftlichen Interessen für konservative Programme bei Wahlen stimmen, die den Sozialstaat reduzieren wollen“, erklärte Friedman.

In der Diskussion bemerkte Harald Hagemann, dass der Harvard-Wissenschaftler eine Art „umgekehrten Max Weber“ postuliere, indem der Fokus weg von ökonomischem Verhalten gelenkt werde. Friedmans Ausführungen nähmen die Effekte protestantischer Religion auf das Wirtschaftsverständnis in den Blick und damit nur bestimmte Strömungen. Der wirtschaftliche Erfolg katholisch geprägter Standorte wie in Norditalien bliebe dabei unberücksichtigt.

„Jede wissenschaftliche Disziplin geht von bestimmten kulturellen Voraussetzungen aus“, hielt Lisa Herzog fest. Die Art und Weise, wie Religion das wirtschaftliche Verhalten beeinflusse, sei aber von Land zu Land unterschiedlich, was sich auch auf das Verständnis der Rolle von Märkten auswirke. So sei der Markt in Europa ein mögliches Beispiel von sozialer Integration. Problematisch sei dabei sicherlich die Annahme der Selbstregulierung von Märkten, wie sie im wirtschaftlichen Verständnis westlicher Demokratien tief verankert sei. „Viele der Herausforderungen, vor denen wir heute stehen, erfordern kollektives Handeln, während sich Märkte auf individuelles Handeln konzentrieren. Dieser kulturelle Individualismus stellt uns zunehmend vor weitere Probleme“, so Herzog.


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Tatiana Farina, Ph.D.

Head of Policy Center