Nicolas Véron vom Think Tank Bruegel und dem Peterson Institute for International Economics und Tobias Tröger, Direktor des SAFE-Forschungsclusters Law & Finance, diskutierten die Fortschritte und Herausforderungen der Kapitalmarktunion zehn Jahre nach ihrer Ankündigung. Die stellvertretende wissenschaftliche Direktorin von SAFE, Loriana Pelizzon, moderierte die Debatte während des SAFE-CEPR-RPN Policy Web Seminar am 13. Mai.
Nach einer Einführung durch Loriana Pelizzon präsentierte Véron sein Papier „Capital Markets Union: Ten Years Later“, eine vom ECON-Ausschuss in Auftrag gegebene umfassende Analyse. In seinem Überblick verfolgte er die Ursprünge der Kapitalmarktunion bis zur Einführung des Begriffs durch Jean Claude Juncker im Juli 2014 zurück. Véron hob den politischen Hintergrund hervor, insbesondere die Rolle bei der Förderung eines positiven Narrativs für das Vereinigte Königreich inmitten der Brexit-Diskussionen. Véron betonte: „Der Kapitalmarktunion mangelte es an einer klaren politischen Definition, da ihr konsensorientierter Ansatz darauf abzielte, verschiedene Interessengruppen, insbesondere im Vereinigten Königreich, zu beschwichtigen.“ Trotz des anfänglichen Optimismus habe dieser Mangel den Erfolg des Projekts beeinträchtigt. „Das Projekt der Kapitalmarktunion wurde kürzlich durch Bundeskanzler Olaf Scholz vom Finanzministerium auf die Ebene der Staats- und Regierungschefs gehoben, so dass nun ein Verständnis für die Dringlichkeit des Themas vorhanden ist“, so Véron weiter.
Wie Véron wies auch Tobias Tröger auf die begrenzten politischen Auswirkungen der Kapitalmarktunion hin. Er stellte das SAFE Policy White Paper Nr. 102 „The Geopolitical Case for CMU and Two Different Pathways Toward Capital Market Integration“ vor, das er gemeinsam mit Florian Heider, Jan Pieter Krahnen, Katja Langenbucher, Vincent R. Lindner und Jonas Schlegel verfasst hat. Im Gegensatz zu Vérons Präsentation hob Tröger die Bedeutung der Kapitalmarktunion in der geopolitischen Situation hervor, da sie die Position Europas stärken könnte, und schlug zwei Wege zur Verwirklichung eines souveränen Kapitalmarktes vor: den Aufbau von Institutionen und den regulatorischen Wettbewerb. Tröger argumentierte, dass „die Marktteilnehmenden die Flexibilität haben sollten, das günstigste Regulierungssystem zu wählen“. Er räumte ein, dass die EU-Mitgliedstaaten gemeinsam vor der Herausforderung stünden, ihre Souveränität aufzugeben, was auf den Widerstand der etablierten privaten und öffentlichen Akteure stoße.
Der geopolitische Hintergrund
In der Debatte sprachen Véron und Tröger über die Herausforderungen und den möglichen Fahrplan für die Kapitalmarktunion. Véron betonte, dass die Mitgliedstaaten bereit sein müssten, ihre Souveränität zu teilen, damit das Modell der gegenseitigen Anerkennung erfolgreich sein könne. Er fügte hinzu, dass „der geopolitische Kontext ein Gefühl der Dringlichkeit unter den Mitgliedstaaten schaffen könnte, die aufsichtliche Integration trotz der Hindernisse durch Sonderinteressen voranzutreiben“. Tröger entgegnete Vérons Argumenten, indem er für das Modell der gegenseitigen Anerkennung plädierte, das seiner Meinung nach die Bedenken hinsichtlich des Schutzes lokaler Interessen durch die nationalen Behörden verringern könne.
Während Véron auf die unterschiedliche Bereitschaft zur Teilung der Souveränität zwischen nordwest- und osteuropäischen Ländern hinwies, merkte Tröger an, dass das Modell des regulatorischen Wettbewerbs für die Mitgliedstaaten politisch von Vorteil sein könne, da es Möglichkeiten für mehr Wettbewerb und Wohlfahrtsgewinne biete. Die Debatte unterstrich die Komplexität der Kapitalmarktunion, einschließlich der Abwägung zwischen nationaler Souveränität und Integration, der Rolle der Besteuerung und des Insolvenzrahmens sowie der geopolitischen Dynamik, die die Einstellung der Mitgliedstaaten zur Integration beeinflusst.